Haushaltsrede 2021 des Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen in der Stadtverordnetenversammlung Dillenburg vom 09.12.2021

Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
sehr geehrter Herr Bürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

ein Dreivierteljahr nach der Kommunalwahl entscheiden wir heute über den Haushalt 2022 und damit die Entwicklung unserer Stadt für das kommende und die folgenden Jahre.

Und die Kommunalwahl hat zumindest ein bisschen Veränderung in unsere politische Landschaft gebracht, wie wir alle in diesem Dreivierteljahr gemerkt haben. Zum ersten Mal seit langer Zeit hat die CDU in Dillenburg nicht mehr die absolute Mehrheit oder ist ihr zum Greifen nahe. Mehr als 5 Prozentpunkte und 3 Sitze verloren bei Ihnen, mehr als 7 Prozentpunkte und 3 Sitze gewonnen bei uns GRÜNEN. Einfache Mehrheiten in der Stadtverordnetenversammlung gibt es jetzt nicht mehr und das kann für die Diskussionen in unserem Gremium nur gut sein, davon bin ich fest überzeugt.

In einem bemerkenswerten Interview mit der heimischen Presse hat der Kollege Kevin Deusing als Vorsitzender der Dillenburger CDU im Mai noch für „breite Mehrheiten“ geworben, für eine Politik mit „weniger Schaum vor dem Mund“. Dennoch waren die ersten maßgeblichen Entscheidungen schon längst getroffen, als das Interview erschien: Entgegen der vollmundigen Ankündigungen hat die CDU es nicht einmal für nötig erachtet, mit allen demokratischen Parteien Gespräche über die Politik der nächsten Legislatur zu führen. Das passt ja auch zu einer Partei, die auf ihrer Facebook-Page skeptische Kommentare löscht und kritische Stimmen inklusive der meinen nach wie vor einfach blockiert.

Auch ohne eigene Mehrheit waren für die CDU die wichtigsten Weichen gestellt, nachdem man sich den Posten des Ersten Stadtrats dank der Unterstützung von FDP und BfD gesichert hatte. Und als wären sie weiterhin die Herren im Haus, durften es aus Ihrer Sicht gleich noch ein paar mehr Posten sein: Die Stellvertretung des Stadtverordnetenvorstehers ebenso wie am liebsten gleich alle 3 Ausschussvorsitze. Auch wenn nicht alles klappte: In anderen Parlamenten herrscht hier mehr Respekt unter den Parteien, mehr Bescheidenheit.

Wir müssen uns eben alle noch an die neue Situation gewöhnen. Auch für Herrn Bürgermeister Lotz ist es ja neu, dass er keine eigene sichere oder fast sichere Mehrheit mehr im Parlament hat. Und so war in den letzten Monat auch bei Ihnen, Herr Lotz, ein Hadern mit dem Parlament zu erkennen, das ich so bisher nicht kannte. Wir sprechen gleich beim Thema Stadthalle nochmal deutlicher darüber. Aber zumindest exemplarisch sei hier genannt, wie kritisch Sie kürzlich über die Vielzahl der Anträge und Anfragen der hier vertretenen Fraktionen sprechen. Wenn das Parlament seiner originären Arbeit nachkommt, neue Ideen auf den Weg zu bringen und Verwaltungshandeln zu hinterfragen, dann müssen Sie sich daran wohl einfach … gewöhnen.

Schauen wir also nun endlich auf das, was wir heute zu entscheiden haben: Die Zahlen des Haushaltes für 2022. Und diese Zahlen haben es in sich: Nachdem wir schon im letzten Jahr einen Rekordschuldenstand erreicht haben, als hätte es Schutzschirm und Hessenkasse nie gegeben, schließen wir auch dieses Jahr wieder mit einem Millionendefizit ab. Im vom Bürgermeister vorgelegten Haushaltsentwurf waren es noch 2,6 Millionen. Nach Schadensbegrenzung aus dem Kreis und ein paar homöopathischen Einsparbemühungen des Haupt- und Finanzausschusses bleiben immer noch 2,2 Millionen mit einem dicken Minuszeichen davor.

Natürlich haben Sie, Herr Bürgermeister, Recht mit der Einordnung, dass wir nicht jeden Cent unseres Haushalts selbst in der Hand haben. Die Höhe der Kreisumlage, selbst wenn sie nun etwas niedriger ausfällt als befürchtet, ist ein ernsthaftes Problem. Der Kreistag kann allein bestimmen, wie viel Geld er von den Städten und Gemeinden bekommt. Ohne dass die Städte und Gemeinden hier mitreden können.

Und es ist ebenfalls richtig, dass wir durch Corona immer noch eine mindestens unsichere Einnahmesituation bei klar höheren Ausgaben haben, während Bund und Land gigantische Summen aufnehmen und davon nur ein kleiner Teil bei den stark belasteten Kommunen ankommt.

Aber dass unsere Haushaltslage nur durch externe Faktoren bestimmt wird – diese Erzählungen kennen wir schon aus den vergangenen Jahren, als es die Nachwirkungen der Finanzmarktkrise waren, die Sie vorbrachten. Und auch wenn der Einfluss nicht zu bestreiten war, ist es doch freundlich formuliert deutlich zu einfach gedacht, gleich alles darauf zu projizieren.

Denn seit Jahrzehnten machen Sie und die Mehrheit in diesem Hause eine Politik der teuren Prestigeprojekte, die uns in ein strukturelles Defizit geführt haben, aus dem wir so schnell nicht mehr heraus kommen.

In den Vorschlägen des Magistrats zur Haushaltskonsolidierung war interessanterweise eine ganz andere Perspektive zu sehen. Als einziges etwas größeres Projekt wurde der aus unserer Sicht absurd teure Parkplatz des Dorfgemeinschaftshauses in Donsbach genannt mit Kosten von einer Viertelmillionen. Dank des sofortigen gemeinsamen Einsatzes von SPD und CDU griffen wir aber ja nicht mal zu diesem Strohhalm.

Daneben waren die Vorschläge noch viel bemerkenswerter: Seniorenfahrten und Ehrenamtsförderung hätten wir streichen können, die Öffnungszeiten der Bibliothek reduzieren oder den Zuschuss an den Museumsverein abschaffen. Hier danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen ausdrücklich, die sich klar dagegen gewandt haben, im Sozialen und bei der Kultur zu sparen.

Von Nachdenklichkeit oder gar Verantwortungsbewusstsein in Bezug auf die großen Baustellen dagegen keine Spur: Über diese Einsparmöglichkeiten, ja Einsparzwänge, möchte in diesem Haus niemand gerne sprechen. Wir GRÜNEN machen es trotzdem!

Lassen Sie mich nur ein Beispiel nennen und dafür etwas genauer auf die Zahlen schauen:

Es ist kein Geheimnis, dass wir GRÜNE schon immer vor den Kosten des Aquarena-Bades gewarnt haben. Zu groß und zu teuer fanden meine Vorgänger*innen es schon vor dem Bau. Aber als wir nun mal ausgerechnet haben, wie viel uns das Bad seitdem gekostet hat, wurden selbst die Erfahrensten unter uns blass: 7,8 Millionen Euro Baukosten sind uns allen bekannt. Dazu kommt das jährliche Betriebsführungsentgelt, mit dem wir das Defizit der Service-Betriebe GmbH decken: Seit dem Bau haben wir dafür sagenhafte 19,4 Millionen Euro ausgegeben. Und jetzt folgt noch die Sanierung mit mindestens 6 Millionen Euro. Das sind in Summe unfassbare 33,2 Millionen Euro – und damit mehr fast zwei Drittel unserer gesamten Schulden.

Wenn ich von hier vorne in Ihre Gesichter schaue, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann kann ich mir die Frage leicht selbst beantworten, ob Ihnen diese Zahlen bekannt gewesen sind. Dabei standen sie in jedem Haushalt, den Sie in den vergangenen Jahren beschlossen haben, klar und sichtbar vor aller Augen. Und doch wollen Sie heute wieder einen defizitären Haushalt beschließen.

Dabei, und jetzt wird es vielleicht nochmal überraschend für manche von uns, sind die wirklich großen Projekte, die sich dieses Parlament für die Zukunft wünscht, nicht mal vollständig oder überhaupt nicht im Haushalt enthalten:

Der Neubau der Stadtwerke wird mindestens 7 Millionen Euro kosten, von denen nur etwa ein Drittel durch die Abwassergebühren gedeckt werden kann. 2/3 der Kosten und damit 4,6 Millionen Euro müssen erwirtschaftet werden: das heißt am Ende des Tages durch die Stadt Dillenburg getragen. Im Haushalt findet sich davon logischerweise heute nichts, aber ereilen werden uns diese Kosten.

Die Glück-Auf-Halle in Oberscheld steht bisher mit ganzen 250.000 Euro im Haushalt. Und ganz gleich, wie viel Geld wir tatsächlich von der Versicherung bekommen, reichen wird das bei weitem nicht.

Bei der Sanierung des Aquarena-Bades sind es bisher 4 Millionen Euro, die im Haushalt eingeplant sind. Schon jetzt reden wir aber von 5,5 bis 6 Millionen Euro. Und erst letzte Woche erklärte Bürgermeister Lotz, dass es wohl noch teurer werden könnte.

Für den Neubau der Stadthalle schließlich, um uns abschließend dem Elefant im Raum zuzuwenden, sind gerade einmal 6,2 Millionen Euro im Haushalt dieses und der kommenden Jahre eingeplant. Die Partnerschaft Deutschland hatte aber schon 2017 8,8 Millionen als notwendig genannt. Nimmt man nur die bisherigen Preissteigerungen laut Statistischem Bundesamt an, sind das jetzt schon 10,7 Millionen Euro. Und dabei plante die Partnerschaft Deutschland noch mit der bisherigen Größe. In der neuen Variante mit 600 oder noch lieber 1000 Sitzplätzen reden wir dann schnell über 15 bis 20 Millionen Euro Investition.

Ich habe mir mal das fragwürdige Vergnügen gemacht, im Parlamentsinformationssystem soweit es eben möglich war zurück zu gehen und Niederschriften zur Stadthalle zu lesen. Das ist gleichsam lehrreich wie verstörend, denn eine Sternstunde des Parlaments war nicht gerade dabei. Ganz im Gegenteil findet man viele Aussagen auch von heute noch aktiven Kommunalpolitiker*innen, die zu zitieren schon fast ein unfreundlicher Akt wäre.

Sie haben also auch hier nicht ganz Unrecht, Herr Bürgermeister, wenn Sie letzte Woche bei den Haushaltsberatungen kritisierten, das Parlament hätte die Schließung der Stadthalle verhindern können. Aber dass die jetzt so missliche Lage allein das Parlament zu verantworten habe, wie Herr Rademacher Sie in der Presse richtig zitierte, das ist nicht nur zu einfach gemacht, das ist unredlich. Denn immer wieder haben Sie selbst sich für einen Neubau der Stadthalle eingesetzt und versucht, das Parlament zu überzeugen. Die Vorschläge für ein Medizinzentrum und auch für das integrierte Hotel kamen von Ihnen und sind ein wichtiger Grund dafür, dass wir immer noch über die Stadthalle reden.

Offensichtlich sind aber nun fast alle Beteiligten derartig genervt, dass es jetzt zu einem Abschluss des Projekts Stadthalle kommen soll, koste es was es wolle. Statt Vernunft ist es jetzt augenscheinlich Trotz, mit dem die von der CDU angeführte knappe Mehrheit hier auf dem Rücken heutiger und zukünftiger Dillenburger Bürgerinnen und Bürger Politik machen will.

Zwischendurch war sogar die CDU mal weiter in der Diskussion, wenn ich wieder das Parkbank-Interview des Kollegen Deusing zitieren darf: „Klar ist, dass die Stadt allein ein solches Projekt nicht finanzieren kann. Ich glaube auch, dass man den Standort noch mal überdenken sollte.“ Und weiter: „Zugleich muss man aber auch feststellen, dass Großveranstaltungen insgesamt abnehmen. Ich weiß auch nicht, ob nach Corona der Bedarf dafür noch vorhanden ist.

Übrig geblieben ist von der Erkenntnis immerhin, dass wir uns auch nach jetziger Einschätzung der CDU die Stadthalle aktuell nicht leisten können. Beschlossen haben Sie den Neubau mit denkbar dünner Mehrheit nun trotzdem. Mit der Hoffnung auf Geld, mit „vorweihnachtlichen Wünschen“ Ihres Fraktionsvorsitzenden Herrn Nickel, der einfach mal 5 Millionen imaginären Landeszuschuss und eine um 50% steigende Gewerbesteuer bemühte. Zum Trotz kommt also noch Träumerei.

Wie schon beim Aquarena sieht die Mehrheit im Parlament uns auch bei der Stadthalle in der Pflicht, ein Angebot weit über unser Stadtgebiet hinaus zu schaffen. Und diese Großmütigkeit verbinden wir auch hier wieder mit der Großzügigkeit, Gespräche mit den anderen Kommunen des nördlichen Dillkreises rundherum abzulehnen wie bei unserem Antrag in der letzten Sitzung. Würden wir im Geld schwimmen, wäre das zwar immer noch verantwortungslos, aber wenigstens nett.

Die zuvor genannten 15 bis 20 Millionen Euro sind dabei keine abstrakte Zahl, die wir eins zu eins als Gegenwert in der Bilanz stehen haben und die somit keine finanziellen Auswirkungen hat. Durch Abschreibungen und Abtrag führen sie zu einer jährlichen Haushaltsbelastung von 1,5 bis 2 Millionen Euro. Summen, die unser Defizit in diesem Haushaltsjahr fast verdoppeln würden, wenn die Stadthalle jetzt schon gebaut wäre.

Nur nochmal zur Erinnerung: Seit 2019 müssen wir den Ergebnis- und den Finanzhaushalt jedes Jahr ausgleichen. Nur in 2020 haben wir wegen Corona eine Ausnahme bekommen, keineswegs aber einen Freibrief: Das Defizit aus dem Jahr 2020 müssen wir in den folgenden Jahren wieder erwirtschaften.

Unter dem heute vorliegenden Haushalt für 2021 müsste also mindestens eine 0 anstelle der 2,2 Millionen Euro Verlust stehen. Wie lange die Kommunalaufsicht uns in dieser finanziellen Irrfahrt gewähren lässt, werden wir eher früher als später erfahren.

Mit den gerade genannten Projekten werden unsere Haushalte aber noch auf Jahrzehnte zu kämpfen haben. Es ist uns ein Rätsel, wie Bürgermeister Lotz da die Prognose in den Raum stellt, bis Mitte des Jahrzehnts wieder einen ausgeglichen Haushalt vorzulegen.

Damit nehmen wir uns aber vor allem selbst die Möglichkeit, mit einer vorausschauenden Finanzpolitik unsere Stadt wirklich zum Guten zu verändern. Denn wir könnten mit weniger Geld mehr erreichen: Eine lebenswerte, nachhaltige und offene Stadt für alle schaffen – mit Parks und Grünanlagen, Treffpunkten und Arbeitsplätzen in der Stadt. Die Infrastruktur unserer Stadt erhalten und wirklich notwendige Investitionen nicht mehr verschieben – nicht nur um uns weitere Debakel wie bei der Stadthalle zu ersparen. Und wir könnten unserer Fürsorgepflicht nachkommen und unsere hoch belasteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen, indem wir wo nötig auch neue Stellen schaffen – wenn ich allein an die zusätzliche Belastung durch die Ortsumgehung Frohnhausen und Wissenbach denke, bekomme ich mehr als ein schlechtes Gewissen.

All das geht aber nicht, wenn wir immer und immer mehr Geld ausgeben für Projekte, die schön zu haben wären, wir uns aber eigentlich gar nicht leisten können.

Heute vor 10 Jahren hat unser damaliger Fraktionsvorsitzender Bernhard Klement in seiner Haushaltsrede gesagt: „Seit Jahren warnen die Grünen davor, die städtische Haushaltslage durch Investitionen in stets neue Prestigeobjekte zu verschärfen. Seit Jahren warnen die Grünen davor, dass die Stadt Dillenburg weit über ihre Verhältnisse lebt.

10 Jahre später ist das aktueller denn je, ist der finanzielle Übermut größer denn je. Wir werden uns weiterhin nicht daran beteiligen. Wir werden auch in Zukunft unnachgiebig darauf drängen, dass wir endlich mit Geld umgehen lernen.

Und wir werden die Hoffnung nicht aufgeben, dass noch mehr Fraktionen dieses Parlaments einsehen, dass es ein Weiter-So nicht mehr geben darf. Die Mehrheiten dafür könnten schon jetzt da sein. Wirklich mutig, wirklich weitsichtig wäre es daher, sich uns anzuschließen.

Wir jedenfalls werden diesen Haushalt für das Jahr 2022 ablehnen.

Vielen Dank.

 

Christian Jung
Fraktionsvorsitzender